In vielen Regionen Deutschlands ist das Grundwasser immer noch sehr belastet mit Nitrat. Das KI-Leuchtturmprojekt NiMo 4.0 entwickelte Methoden für eine bessere Überwachung dieser Belastung. Dr. Andreas Abecker berichtete uns über das Projekt.
Herr Dr. Abecker, wie wollten Sie im Projekt konkret die Vorhersage für Nitrat im Grundwasser verbessern?
Es gibt zwar bereits bundesweite Nitratkarten, diese werden jedoch mit einem recht einfachen geostatistischen Verfahren erstellt. In der Wissenschaft gibt es auch viele sehr komplexe „traditionelle“ Modellierungsansätze, die aber häufig sehr viele Eingangsdaten benötigen, im Idealfall in hoher räumlicher Auflösung. Die Ausgangsfrage unseres Projektes war: Können wir eine auf maschinellem Lernen beruhende, datengetriebene Alternative oder Ergänzung zu gängigen Modellierungsansätzen entwickeln? Dabei wurden KI-Verfahren mit Methoden der Geo- und Umweltinformatik kombiniert, speziell im Anwendungsgebiet Wasser. Ein Schwerpunkt lag auf der Frage, ob und wie gut sich neuere Technologien im Bereich der neuronalen Netze hier eignen.
Und zu welchen Ergebnissen sind Sie während des Projektverlaufs gekommen?
Mittels aktueller Machine-Learning-Ansätze, die nicht nur mit Messdaten, sondern auch noch mit Hintergrunddaten „gefüttert“ wurden, z. B. zum Gelände, zur Landnutzung und zu den Grundwasserleitern, kann man nun räumlich feinmaschigere Überlegungen anstellen, wie das Nitrat im Grundwasser verteilt ist. Auf dieser Basis konnten wir auch eine intelligente Messwertüberwachung entwickeln, um die Datenqualität der Messwerte zu erhöhen und ihre Beobachtung teilweise zu automatisieren. Das System kann insbesondere auf Anomalien in den Messwerten hinweisen. Gründe für Ausreißer in den Messwerten können beispielsweise defekte Messgeräte sein, aber auch eine tatsächlich schlagartig erhöhte Schadstoffbelastung durch irgendein äußeres Ereignis. So etwas kann mithilfe von KI gut erkannt werden. Ein drittes Handlungsfeld war die Messnetzoptimierung: Hier wird für jede Station berechnet, wie groß ihr Beitrag zum Gesamtbild der räumlichen Werteverteilung ist. Mit mathematischen Optimierungsverfahren kann man dann untersuchen, ob man einzelne Messstationen ohne signifikanten Informationsverlust weglassen oder durch eine andere Platzierung einen größeren Nutzen für ein zuverlässiges Gesamtbild erzielen kann. Zusammenfassend haben wir also neue Verfahren entwickelt, um KI-Methoden für die Berechnung der räumlichen Ausbreitung von Nitrat im Grundwasser, für die Messnetzoptimierung sowie für die Anomaliedetektion zu verwenden. Solche Verfahren können Wasserversorger und die Umweltverwaltungen bei der Bewirtschaftung von Wasserressourcen und bei Entscheidungen zu wirksamen Maßnahmen zum Gewässerschutz unterstützen. Frühzeitige Prognosen können auch Basis eines Frühwarnsystems sein, sodass verantwortliche Einrichtungen auch mit wenig Personalaufwand schneller auf potentielle Veränderungen der Grundwasserqualität reagieren können.
Welche Rolle hat das Datenmanagement im Projekt gespielt?
Die Ergebnisse von Machine-Learning-Verfahren stehen und fallen mit der Verfügbarkeit möglichst qualitativ hochwertiger Eingangsdaten. Deshalb spielten Datenbeschaffung und Datenmanagement auch in unserem Projekt eine große Rolle. Durch die tatkräftige Unterstützung der Umweltlandesämter mehrerer deutscher Bundesländer konnte in NiMo 4.0 für Forschungszwecke ein einmaliger Datenschatz mit nitratrelevanten Daten aus vielen Teilen Deutschlands, von über 7 000 Messstellen und mit ca. 6,5 Millionen Messwerten von 1981 bis heute angesammelt werden. Unser Projektpartner Fraunhofer IOSB hat dafür bestehende Technologien der intelligenten Sensordatenübertragung und -verarbeitung für die praktische Nutzung verbessert. Auf der Seite der technischen Infrastruktur hat auch die Disy Informationssysteme GmbH durch Weiterentwicklung ihrer Location-Intelligence-Plattform Cadenza ermöglicht, dass auch Endanwender*innen ohne vertiefte KI-Kenntnisse KI-basierte Algorithmen nutzen können.
Inwieweit hat sich durch die neue Modellierung die Abbildung von Nitratwerten verändert?
Mit dem Machine-Learning-Ansatz können wir die regionalen Nitratwerte deutlich feiner berechnen als zuvor. Dadurch werden Unterschiede zwischen kritischen und unkritischen Werten auf der Karte erkennbar. Auch konnten wir mit dem neuen Modell Leerstellen auf der Karte füllen. Das sind wichtige Erkenntnisse für die Landesumweltämter, die dann regional und lokal präzisere Maßnahmen ergreifen können.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den Pilotregionen?
Die Ergebnisse der Machine-Learning Verfahren bei der Regionalisierung fielen sehr unterschiedlich aus, je nach hydrogeologischen Gegebenheiten und Datenverfügbarkeit. In einem unserer am intensivsten untersuchten Testgebiete, dem Oberrheingraben in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, erhielten wir mit den NiMo-Methoden definitiv bessere Ergebnisse als mit herkömmlichen Ansätzen. Das stößt bei den Mitarbeitenden der betroffenen Landesumweltämter auf großes Interesse, so dass dort NiMo-Projektergebnisse mittelfristig vermutlich intern genutzt werden.
Gab es Herausforderungen während des Projektverlaufs?
In einigen Bundesländern haben die KI-Verfahren zur Regionalisierung der Messwerte noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse geliefert. Sicherlich waren auch Qualität und Umfang, insbesondere räumliche und zeitliche Auflösung, von Eingangsdaten hier wichtige Gründe. Viele Messstationen liefern nur selten Daten. Dabei gibt es heutzutage bereits Sensorik, die in Echtzeit per Telemetrie quasi ständig Daten liefern könnte. Auch die Verfügbarkeit von Hintergrundwissen, wie Daten zur Landnutzung und insbesondere zum Nitrateintrag durch Düngung in der Landwirtschaft, ist bisweilen limitiert. Wir hätten gerne auch mehr Livedemos ins Netz gestellt. Aber für manche Messstellen gibt es sensible politische Diskussionen, Messwertverläufe müssen mit Kontextwissen interpretiert oder eventuell fehlerhafte Daten erläutert werden. Daher wird eine Datenfreigabe für Nicht-Experten eher zurückhaltend behandelt.
Wie geht es nach Projektende weiter?
Hauptsächlich wollten wir in NiMo 4.0 die Methodeneignung überprüfen und technische Basisentwicklungen leisten. Beides hat sehr gut funktioniert. Schlussendlich haben wir einen Forschungsprototyp entwickelt, der die Bedarfe potentieller Anwender*innen erfüllt. Allerdings gibt es noch keine einheitliche Strategie, wie man mit einer Lösung bundesweit an den Start gehen könnte. Außerdem gibt es auch noch andere Initiativen, Nitratdaten auf Bundesebene zu erzeugen und bereitzustellen. Statt hier in Konkurrenz zu treten, wäre es sicherlich sinnvoller, wenn sich „klassische Modellierer“ mit den in NiMo untersuchten Machine-Learning-Methoden befassen würden, um Synergien beider Ansätze zu suchen. Wenn sich softwaretechnische Ergebnisse aus NiMo außerdem bei Wasserversorgern etablieren ließen, könnte das langfristig auch eine große Auswirkung auf die sichere Trinkwasserversorgung in Deutschland haben.