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Wie kann es gelingen, die Komplexität der Natur als Daten in eine Plattform zu bringen und wieder verwendbar zu machen? Darüber sprachen wir mit Prof. Dr. Patrick Mäder von der TU Ilmenau zum Abschluss des KI-Leuchtturmprojektes „NaturaIncognita“.
Herr Prof. Dr. Mäder, was war die Idee für das KI-Leuchtturmprojekt?
Die Idee ist während des Projektes Flora Incognita entstanden. Seit 2014 machen wir uns Gedanken über eine leistungsfähige Infrastruktur bzw. Software zur Pflanzenbestimmung. In erster Linie ging es bei Flora Incognita aber um die Entwicklung einer App für die breite Öffentlichkeit. In gewisser Weise war Natura Incognita die notwendige Fortsetzung von Flora Incognita. Weil wir nach ca. sechs Jahren eine Plattform und anpassbare Infrastruktur schaffen wollten, mit der man leicht unser Wissen auf andere Artengruppen anwenden kann.
Zu welchen Ergebnissen kamen Sie und Ihr Team während des Projektes?
Wir haben in den letzten vier Jahren eine Workflow-Plattform neu entwickelt. Diese kann jetzt von Vereinen, Fachgesellschaften oder Forschenden genutzt werden, um Arten automatisch zu identifizieren und zu monitoren. Eine Plattform dieser Art gab es so vorher nicht. Die genannten Akteure können uns Bilder einer spezifischen Artengruppe als Trainingsbilder zur Verfügung stellen. Wir realisieren für diese Artengruppe eine Künstliche Intelligenz (KI) für die automatische Bestimmung und anschließend kann diese KI für verschiedene Fragestellungen und Monitoring-Zwecke genutzt werden. So wird es zukünftig möglich sein, dass insbesondere große Mengen an Bilddaten, die z.B. durch Citizen- Science-Projekte entstehen automatisch analysiert werden können.
Wer kann die Plattform nutzen?
Alle, die mit uns gern zusammenarbeiten möchten. Allerdings ist Natura Incognita im Vergleich zu Flora Incognita nicht so sehr für die breite Öffentlichkeit gedacht. Hier steht eher ein wissenschaftliches Interesse im Vordergrund. Zum Beispiel gibt es im Bereich Insektenerkennung eine Kooperation mit den Forschenden des Tagfaltermonitorings am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ). Durch die Bereitstellung von Trainingsdaten zu Tagfaltern durch den Kooperationspartner war es uns möglich, eine präzise KI zur Tagfaltererkennung zu entwickeln. Diese KI wird in der Natura-Incognita-Plattform bereitgestellt und eine Schnittstelle bindet sie in die App des Tagfaltermonitorings ein.
So können Beobachtungen im Rahmen des Projektes „Tagfaltermonitoing“ automatisch bestimmt werden. Mit Hilfe der KI- Bestimmungen können nun auch interessierte Laien beim Monitoring von Tagfaltern unterstützen und den Datenbestand erheblich erweitern. Im Laufe des Projektes haben wir im Rahmen von verschiedenen angelegten Pilotprojekten mit ganz unterschiedlichen Verbänden oder Vereinen zusammengearbeitet, die Spezialisten für bestimmte Arten wie Schmetterlinge, Plankton, Pilze oder Vögel sind.
Wie würde ein Daten-Workflow für die Artenbestimmung konkret aussehen?
Zum Beispiel wie in der Zusammenarbeit mit dem Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e.V. Der Verband betreibt eine umfangreiche Beobachtungsplattform und verfügt daraus über Millionen begutachteter Bilder zu den Vogelarten Deutschlands. Diese Beobachtungsdaten stellt der Verband unter anderem den Bundesländern für Biodiversitätsanalysen bereit. Was der DDA Beobachtungsplattform noch fehlt, ist eine automatische, bildbasierte Analyse der Vogelarten. Damit könnten Beobachtungen schneller begutachtet werden und auch weniger erfahrene Citizen Scientists könnten am Monitoring teilnehmen. Hier kommen wir mit unserer neuentwickelten Plattform ins Spiel: Wir haben mit dem DDA eine erste KI zur automatischen Vogelerkennung entwickelt, welche der Verein nun testet.
Welche Herausforderungen gab es während des Projektes?
Wir von der TU Ilmenau haben umfangreiche Erfahrungen in den Bereichen Datenwissenschaften und Maschinelles Lernen. Uns erreichen üblicherweise große Mengen Daten, welche wir analysieren, verarbeiten und für die wir Mechanismen entwickeln. Aber ohne das biologische Fachwissen unserer Projektpartner hätten wir die Ergebnisse unserer KIs nicht interpretieren können. Wie sind beispielsweise die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen einzelnen Fischarten? Eine genaue Definition ist wichtig und für die Ablage und das Wiederauffinden der Daten. Die Komplexität der Natur als Daten in eine Plattform zu bringen und wieder verwendbar zu machen, war eine echte Herausforderung.
Unterstützung in diesen Bereich erhielten wir von unseren Projektpartnern am Max-Planck-Institut für Biogeochemie. Sie koordinieren die Zusammenarbeit mit den externen Kooperationspartnern und fungierten als Bindeglied zwischen den Informatikern und Biolog*innen. Insbesondere bei der Realisierung einer automatischen Erkennung von Indikatorarten von Phytoplankton brachten sie umfangreiche taxonomische Expertise ein. Das zeigt, dass eine Zusammenarbeit mit taxonomischen Expert*innen auch für unsere zukünftige Arbeit an potentiell weiteren Artengruppen entscheidend sein wird.
Haben Sie Ideen, wie es nach Projektende weitergehen könnte?
Toll wäre eine Art Marktplatz für interessierte Organisationen. Wenn sich zum Beispiel ein Verein mit alten Obstbäumen beschäftigt und gern die Sorten automatisch unterscheiden möchte, dann könnten wir dieses Ziel unterstützen. Inzwischen haben wir außerdem so leistungsfähige KIs entwickelt, dass wir auch Zusammenhänge beobachten und automatisch auswerten können. Beispielsweise die Frage, wie sich die Nahrungsquelle für ein Insekt ändert, wenn sich die Eigenschaften von Pflanzen verändern.
Wir hätten großes Interesse an einem Nachfolgeprojekt. Wir sind technisch an einem Punkt, wo wir KI sinnvoll und mit Mehrwert für den Umwelt- und Klimaschutz einsetzen können.
Vielen Dank für das Interview!